Angeklagte stehen vor Gericht als die Kammer den Saal betritt
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Wegen Pflegebetrugs wurden die beiden Angeklagten zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

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Bewährung für Millionen-Pflegebetrug: "Seltene Angeklagte"

Als "total atypisch" bezeichnete der Vorsitzende Richter in Nürnberg das Verfahren wegen Pflegebetrugs in Millionenhöhe. Ein gut arbeitender Pflegedienst im Landkreis München, kooperative Angeklagte – trotzdem ein Schuldspruch wegen Betrugs. Warum?

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Für die beiden Angeklagten, eine 63 Jahre alte Pflegefachkraft und ihren 51-Jähriger Co-Geschäftsführer, geht heute eine lange Prozessgeschichte zu Ende. Aufgrund von Wechseln in der Zuständigkeit wird seit sechs Jahren in dem Fall ermittelt, durchsucht, befragt, verhandelt. Mit dem Urteil ist für sie endlich ein Schlussstrich gezogen. Die bevorstehende Erleichterung war den beiden schon vor Beginn des heutigen Prozesstags anzumerken, die Stimmung zwischen den Angeklagten und ihren Anwältinnen und Anwälten schien entspannt.

Verständigung der Verfahrensbeteiligten

Das Gericht aber ist von der Schuld der beiden überzeugt – wenig überraschend, waren sie doch von Beginn an geständig und kooperativ. So hatte es im Vorfeld des heutigen, letzten Verhandlungstags eine Verständigung gegeben. Dem folgte das Gericht auch und verurteilte die beiden wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, die Strafe wurde aber zur Bewährung ausgesetzt. Aufgrund der Länge des Verfahrens konnten zudem drei Monate als vollstreckt angesehen werden.

Pflegebetrug mit "besonderen" Angeklagten

In seiner Urteilsbegründung sprach der Vorsitzende Richter von einem "total atypischen" Verfahren. Üblicherweise geht es bei Pflegebetrugsprozessen um Fälle, bei denen die Leistungen nicht oder mangelhaft erbracht wurden, die Patientinnen und Patientinnen vernachlässigt wurden, oder vieles fingiert werde. Die Angeklagten hätten im Gegenteil aber sehr gute Pflegearbeit geleistet. Sie selbst sagten immer wieder, sie hätten den Pflegedienst gründen wollen "um es besser zu machen". So seien laut der Verteidigung auch die Räumlichkeiten der Pflege-Wohngemeinschaften im Landkreis München häuslich und nicht klinisch eingerichtet worden. Das Patientenwohl solle bei ihnen immer an erster Stelle gestanden haben.

Zudem seien sie von Beginn an geständig und kooperativ gewesen. Der Angeklagte habe sogar bereits bei der Hausdurchsuchung ein Geständnis abgelegt. Damit habe man schon mal einen besonderen Punkt verdient, so der Vorsitzende Richter weiter, man glaube nicht, wie sehr das einen Einfluss auf ein Gericht habe, wie sich ein Angeklagter verhält. "Wenn sich zwei Angeklagte selbst hinsetzen und sprechen, ohne zu taktieren, sich dem Gericht öffnen, muss das honoriert werden." Zudem habe die angeklagte Pflegefachkraft die fehlende Qualifikation mittlerweile eingeholt.

Pflegedienstleiter nur scheinbeschäftigt

Aber Fakt ist, dass die beiden unter anderem von 2013 bis 2018 einen Mitarbeiter als Pflegedienstleitung bei den Krankenkassen angegeben haben – doch hat er dort niemals wirklich gearbeitet. Die Krankenkassen haben aber hohe Anforderungen an Pflegedienste für Intensivpatienten und die hat der Pflegedienst der Angeklagten nicht erfüllt. Damit sind alle Ansprüche nichtig, rechne man dennoch ab, so ist das Betrug, sagt der Vorsitzende Richter. Die Scheinbeschäftigung der Pflegedienstleitung sei nicht aus Versehen passiert, da sei Überlegung dabei gewesen, so der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung weiter. "Wird schon nichts passieren", hätten sich die Angeklagten wohl dabei gedacht.

Insgesamt entstand der AOK und der Knappschaft ein Schaden von rund 2,1 Millionen Euro, beziehungsweise 700.000 Euro. Zunächst stand ein Schaden von fast fünf Millionen Euro im Raum. Einige Vorwürfe ab April 2019 sind aber fallengelassen worden.

Pflegedienst bleibt bestehen – ohne die Angeklagten

Was für die Angeklagten besonders schwer wiegen dürfte: Neben den Rückzahlungen der Schuld, dem Bezahlen der Gerichtskosten und dem Ableisten der Bewährungsstrafe dürfen die beiden künftig nicht mehr in der Geschäftsführung ihres Pflegedienstes tätig sein. Die Anwälte erklärten aber, dass der Pflegedienst auf jeden Fall weiterbestehen soll. Selbst die geschädigte Krankenkasse AOK wünscht eine Fortführung der Verträge.

Einer der Anwälte des Angeklagten erklärte in seinem Plädoyer, er fände es interessant, wie der Bundesgerichtshof einige Einzelheiten des Verfahrens bewerten würde. Der Bundesgerichtshof wäre im Falle einer Revisionsprüfung zuständig. Doch der Anwalt und seine Kolleginnen und Kollegen machten deutlich, dass sie nicht in Revision gehen wollen – auch aufgrund der Verständigung, die im Vorfeld des letzten Verhandlungstags getroffen wurde.

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